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Atelierbesuch: Jea Yun Lee Malerei, Zeichnung, Objektkunst & Fotografie
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Von der Mehrdimensionalität der Menschen und Dinge
Jea Yun Lees künstlerische Gleichgewichte eines ewigen Auflösens und Neuformens bleiben im Gedächtnis.
Es war eine richtige Freude Jea Yun Lees Kunst endlich im Atelier des Fotomotels zu sehen. Malerei, Objektkunst, Zeichnung und Fotografie, die präzise und spielerisch nachwirkt. Die Intention der koreanischen Künstlerin ist es, spannende Wahrnehmungssituationen zu schaffen, sowohl auf der Leinwand als auch im Einmachglas. Eine Kunst die zugleich Sinne und Geist beschäftigt und so vielseitig ist, wie ihre ungewöhnlichen Portraits. Lees Kunst vermittelt immer eine elementare Kraft. Schon während ihres Studiums in Seoul (1996-2003) bildet die Malerei den Schwerpunkt ihres künstlerischen Schaffens. Ihr Interesse gilt vor allem der Mehrdimensionalität des Gemäldes.
Auch an der Kunsthochschule Kassel und später als Meisterschülerin von Prof. Johannes Spehr, entschließt sie sich gegen die klassische Bildniskunst und für die Mehransichtigkeit der Persönlichkeit. Sie kreiert eine Art dynamischen Kubismus, der die Gesichtsstruktur in Bewegung setzt und vor den Augen des Betrachters neu formiert. Ein Spiel, das von ihr bis zur Unkenntlichkeit betrieben wird.
Eine weitere Leidenschaft der Künstlerin ist das Sammeln. Hinter den Dingen und Fundstücken verbergen sich ihre Stories. „Das Bild zu sammeln ist ein Prozess und die Basis meiner künstlerischen Arbeit. Diese Collagentechnik findet sich sowohl in meiner Malerei, als auch in meiner Objektkunst wieder.“ Es sind vorrangig die organischen Formen, die ihre surrealen Objektcollagen und gemalten Montagen inspirieren. „Die Figuren in meinen Gemälden oder Zeichnungen haben entweder mehr Körperteile oder weniger als in der Realität. Die unförmigen Figurationen erscheinen mit den vielen Augen und Armen oder abgeschnittenen Beinen wie Phantasiewesen und können, laut Jea Yun Lee wegen ihrer Deformation nur von der Phantasie gelesen und identifiziert werden. Ihr kurioser Einfallsreichtum ist bewundernswert, obwohl sich die sympathische Künstler eigentlich nur von ihren Assoziationen treiben lässt.
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Fluides Antlitz zwischen Identität und Emotion
Das figurative Bildnis wird bei ihr zum nicht-figurativen; Unkenntlichkeit ist ihre Devise. Das identifizierbare Gesicht wird um das abstrahierte erweitert. Viele Augen, Münder und Nasen deformieren die klassische Form und bedeuten eine Hinwendung zum Unheimlichen. Sowohl in ihrer Malerei als auch bei den Zeichnungen setzt sie mehr und mehr auf eine Blickstörung; eine eindrucksvolle Fixierung auf die Metamorphose, die vor den Augen passiert. Es ist eine fast vollständige Auflösung im Fluiden. Seit vielen Jahren setzt sie sich mit dem Thema Abbild und Mythos auseinander. Natürlich fließen in ihre künstlerischen Konzepte auch Erinnerungen und unterschiedliche Wertevorstellungen ein. Stark und schön zu sein, bedeutet in ihrer Heimat Korea, einfach mehr von allem zu haben. „Deshalb treten in meinen Bildern und Zeichnungen, die Körperteile wiederholt auf.“ Die Skurrilität ihrer Figurationen erstaunt den Betrachter und gerade mit dieser Verfremdung, gelingt es die Wahrnehmung zu sensibilisieren. Die irritierende Vielzahl der Teile ergibt die Deformation; inszenierte Hässlichkeit oder potenzierte Schönheit? Schaut man genau hin, entdeckt man Zitate der klassischen Portraitkunst: es ist ein wahrer Persönlichkeitsfächer der sich öffnet. Vor den Augen entstehen fließende Übergänge zwischen Flächenmalerei, Portraitkunst und Zeichnung; ein fragiles Konstrukt mit menschlichen Zügen, das auf den ersten Blick monströs daherkommt, aber gleichzeitig etwas Zerbrechliches und Sensibles verbirgt. Jea Yun Lee hat eine neue Extremform für diese klassische Kunstgattung entwickelt. Ihre Neuorientierung in der Bildniskunst wandelt zwischen Präsenz und Absenz. Sie inszeniert die Fremdheit des menschlichen Antlitzes und setzt bewusst auf Irritation und Makel.
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„Zeigen und gesichtet werden“
Mit fast schon spielerischer Herangehensweise entwickelt die vielseitige Künstlerin auch neue Objektformen. Die Suche nach einer inhaltsreichen Idee um Dinge und Erinnerungen zu bewahren, bringt sie auf die Tradition des Einmachens und Konservierens. Auf diese Weise entstehen ihre Tageskonservierungen; handelsübliche Einmachgläser, die randvoll mit Utensilien gefüllt und eingekocht werden. „Manche schreiben Tagebücher, um ihre Gefühle und Stories zu bewahren. Ich dokumentiere meine Gefühle und Erinnerungen mit Zeichnungen und Objekten. Jetzt kann ich die wichtigsten Dinge mit Öl im Glas konservieren, wie Omas Marmelade.“ Eben kein abgegriffener Taschenkalender mit Notizen, sondern ganz haptisch mit einer ordentlichen Portion Individualität. Die persönliche Nähe dieser genialen Serie entsteht durch die bewusste Allansichtigkeit. Jea Yun Lee gewährt dem Betrachter einen intensiven Einblick in ihre Gefühls- und Gedankenwelt. Wieder sind es Kindheitserinnerungen und der Glücksfall eines funktionierenden Experiments. Zuerst wollte Lee ihr Sammelsurium mit Essig oder Alkohol konservieren. Leider verloren die Gegenstände ihre Farbe und so experimentierte sie mit verschiedenen Ölen. Das Rapsöl eignet sich am besten. Da es im Laufe der Zeit sogar noch heller wird und der gelbliche Ton im Glas verschwindet, ohne die anderen Farben mitzunehmen.
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Mit Fingerzeig auf die Einmaligkeit verweisen
Scheinbar präzise wie ein Uhrwerk entstehen ihre Werke; entweder malt oder zeichnet sie, sammelt oder näht oder sie konstruiert und fotografiert. Doch so souverän ihre Arbeitsweise für den Außenstehenden erscheint, so viel Skepsis und Zweifel beschäftigen die Künstlerin. Manchmal streiken ihre Finger und so richtig will nichts funktionieren, aber Jea Yun Lee gelingt es selbst diesen existentiellen Konfliktsituationen eine Wendung zu geben. Ihre Installation 10.000 Fingers ist faszinierend und irritierend zugleich. Zwei Jahre hat sie für die Fertigung dieser beeindruckende Formation benötigt, denn jeder Finger ist ein Unikat aus Keramik.
„Mit 10.000 Fingers möchte Yun Lee zeigen, wie sie sich als Künstlerin, die mit ihren Händen arbeitet, fühlt. „Meine Finger bewegen sich manchmal unkontrolliert, sie spielen dann einfach nicht mit.“ Deshalb habe ich mit 10.000 Fingers diese Gefühlswelt nachgebaut. Der Betrachter bekommt durch die fast schon bedrohliche Fingerkompanie meine Angst und Verzweiflung zu spüren, ein Zustand den jeder Künstler verspürt, wenn einfach nichts gelingen will.“
Angelika Froh
(k) Magazin
